Wie gehen wir da voran?

Du kannst doch meditieren!
Meditieren nicht in der esoterischen Ecke,
sondern meditieren im Sinn
unserer christlichen Kirchen.
Zeig uns doch bitte, wie das geht!



Anregungen für die
biblische Betrachtung
und Meditation

Bei den Einkehrtagen, die ich geben und begleiten durfte, entstand der Wunsch, konkretere Anleitungen zu haben, wie die Zeit des Schweigens und der persönlichen Betrachtung gestaltet werden kann. Für Lk 12,35-40 habe ich einmal exemplarisch folgendes Raster entwickelt, das sich an die Spiritualität Ignatius von Loyolas' anlehnt. Es ist verhältnismässig leicht auf jede andere Bibelstelle anzuwenden - jede ist ja gleichermassen ein Ur-Dokument unseres Glaubens an den dreifaltigen Gott, der über jedes irdische Mass hinaus liebt: einen jeden Menschen wie seinen eingeborenen Sohn Christus Jesus - mit dem Heiligen Geist - bedingungslos.

Es ist wichtig, sich Raum und Zeit bewusst zu gestalten. Was hilft mir, nicht gestört zu werden? Richte ich mir eine Ecke ein, in der eine Kerze steht, ein Hocker oder ein Stuhl, auf dem ich gut sitzen kann? Es gibt verschiedene Auffassungen darüber, ob man sich eine genaue Zeit für die Dauer der Betrachtung festlegen soll oder nicht. Einerseits soll alles Zwanghafte und Verkrampfte vermieden werden, andererseits kann mir eine klare Zeitdauer dabei helfen, mich auszuhalten und Gott hinzuhalten. Mit einer klar festgelegten Dauer (je nach Alltagssituation und Geübtheit 25 bis 60 Minuten) werde ich eher herausgefordert, meine inneren Widerstände wahrzunehmen und Gott »die Zeit zu schenken«, einfach dazu sein »vor ihm, mit Christus und in Christus« und zwar so wie ich bin, auch mit aller Unaufmerksamkeit, Zerstreutheit oder sogar Fluchttendenz und Abwehr.

Alles, was »hochkommt«, darf sein und kann ins Gebet genommen werden:
»Herr, Du kennst mich besser als ich mich selbst, sieh meine Unruhe ...«
Wenn es etwas Wichtiges gibt, das ich nicht vergessen darf (ein dringender Anruf etc.), kann es gut sein, mir dies kurz zu notieren, so dass mein Gedächtnis nicht weiter belastet wird und ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den biblischen Text und die Begegnung mit Gott richten kann. Deshalb kann es eine Hilfe sein, in der Nähe meines Meditationssitzes ein Blatt Papier und einen Stift bereit zu halten. Um nicht immer wieder auf die Uhr schauen zu müssen, kann ein Wecker eine Entlastung darstellen.

Wie finde ich eine Körperhaltung, die zugleich entspannt und aufmerksam ist? In der Regel ist es gut, die Wirbelsäule sehr aufgerichtet zu halten, nicht an der Stuhllehne anzulehnen, sondern gut abgestützt und mit gutem Bodenkontakt zu sitzen. Hilfreich ist es auch, den höchsten Punkt meines Kopfes zu spüren und von dort aus zur Raumdecke oder zum Himmel hoch zu spüren. So bringe ich zum Ausdruck, dass ich getragen bin von der Erde und ausgerichtet auf den Himmel. Die Arme können auf den Oberschenkeln ruhen. Die Hände können eine Geste der Empfangsbereitschaft zum Ausdruck bringen, beispielsweise indem sie zu einer offenen Schale ineinander gelegt werden.

Wenn ich mit der Meditation beginne, setze ich einen bewussten Anfang, so dass sich im Lauf der Zeit ein eigener Ritus herausbildet. Beispielsweise könnte ich einen Augenblick stehen bleiben, ehe ich mich auf den Meditationshocker oder Stuhl setze, um meine Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass ich in Gottes Gegenwart bin. Ich kann eine Geste des Respekts und der Ehrfurcht setzen, beispielsweise eine Verneigung, ein Kreuzzeichen oder was sonst zu mir passt. Und ich kann Gott bitten, dass Gottes Heiliger Geist mir den Sinn der Heiligen Schrift erschließt, dass er mir hilft, einfach dazusein vor ihm und nicht in Gedanken fortzulaufen. Vielleicht bildet sich mit der Zeit mein eigenes Vorbereitungsgebet heraus. Oder ich orientiere mich an Gebetsmotiven aus der Tradition, beispielsweise:

»Herr, mach mich still, und rede Du.«

»Herr, mein Gott, schenke mir ein Herz,
hörend, weise, verständig,
dass ich Dich je mehr kennen und lieben lerne,
zur Fülle des Lebens komme.«

1 Kön. 3,5-14

»Gott, nimm alles von mir, was mich trennt von Dir.
Schenke mir alles, was mich hinzieht zu Dir.
Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen Dir.«

Nikolaus von der Flüe

»Immerfort empfange ich mich aus Deiner Hand.
Immerfort blickt mich Dein Auge an.
Lehre mich, in der Stille Deiner Gegenwart
das Geheimnis zu verstehen,
das ich bin, und dass ich bin,
durch Dich und vor Dir und auf Dich hin.«

Romano Guardini

Wenn ich einen biblischen Text betrachte und meditiere, kann ich auch um eine besondere Gnade bitten,

»dass ich Dich
besser verstehe und liebe,
Jesus Christus,
in Deiner Zuwendung
zu den Zöllnern und Sündern«,

oder was sonst zu meinem Bibelabschnitt passt.

Um innerlich zur Ruhe zu kommen und von der Alltagshektik und unserer sonst üblichen hohen Aktivität umzustellen auf das aufmerksame, aber passive Wahrnehmen, kann es eine Hilfe sein, meinen Körper mit seinen einzelnen Gliedern kurz zu spüren (Eutonie) oder meinen Atem wahrzunehmen, wie er kommt und geht und wie er mich erfüllt von der Nase über Rachenraum, Lunge bis zur Bewegung im Zwerchfell und Bauchraum.

Diese Körperwahrnehmungsübung kann ich bereits als Einstieg ins Gebet nehmen, indem ich bete:

»Mit jedem Einatmen
empfange ich mich neu aus Deiner Hand.
Und mit jedem Ausatmen
gebe ich mich zurück in Deine Hände,
Du mein Schöpfer und mein Heil.«

Ganz wichtig ist meine Grundhaltung der offenen Empfangsbereitschaft. Wenn mich etwas anspricht, versuche ich dabei zu bleiben und von dort den Weg in die Zwiesprache mit Jesus Christus zu finden. Wen bereits die erste Vorbereitungsübung besonders anspricht, sich bewusst in Gottes Gegenwart wahrzunehmen, kann ruhig dabei bleiben, wenn er findet, was er sucht. Keinesfalls darf irgendein Leistungsdruck aufkommen. Ich brauche kein Pensum zu absolvieren.

»Nicht das Vielwissen
sättigt die Seele,
sondern das Verkosten der Dinge
von innen her.«

Ignatius von Loyola

So hat jede und jeder seinen eigenen Weg und Rhythmus zu finden. Anstatt ständig neue Texte für die Betrachtung auszuwählen, kann es besser sein, Neues in anscheinend vertrauten biblischen Texten zu entdecken und tiefer zu erfassen, was mir Gott mit diesem Wort sagen will. Ignatius empfiehlt deshalb Wiederholungsbetrachtungen zu demselben biblischen Text.

Die drei Seelenkräfte - Gedächtnis, Verstand und Wille - können mir Wege eröffnen, wie mich der biblische Text in das Zwiegespräch mit Christus, dem Heiligen Geist, dem Vater führt und mein Leben verändert.
·  den Text mehrfach langsam - vielleicht sogar laut - lesen
·  den Text abschreiben
·  Worte oder Verse, die mich besonders ansprechen, immer wieder wiederholen und dabei bleiben
·  die biblische Geschichte frei nacherzählen in meiner eigenen Sprache
·  sich die Szene bildlich vorstellen und weiter ausmalen. Wie könnte der Ort ausgesehen haben?

Hilfreich ist es, sich in die einzelnen Personen hineinzuversetzen, die in der biblischen Geschichte erwähnt werden: Wie könnten die Dialoge weitergegangen sein? Wie haben die einzelnen Jünger reagiert? Welche Gefühle könnte Jesu Aufforderung zur Wachsamkeit (Lk 12,35) in ihnen ausgelöst haben? Kann ich etwas von dem / kann ich das Erstauen der Jünger nachvollziehen und spüren, als Jesus das Bild vom zurückkehrenden Herrn erwähnt, der seine Diener bedient (Lk 12,37)?
·  Kann ich die Szene zeichnen oder malen? Vielleicht so, dass sie heute in meiner Umwelt stattfindet?

Mit meinem Verstand kann ich zu verstehen suchen, was der Text mir heute sagen will. Dabei könnte ich folgenden Fragen nachgehen:
·  Was verstehe ich nicht?
·  Wo regt sich bei mir Widerstand gegen bestimmte Aussagen?
·  Was ist wirklich gemeint?
·  Welche anderen biblischen Texte lassen die Formulierungen anklingen?
·  Worin liegt die besondere Spitze meines Betrachtungstextes?

Als Hilfsmittel könnte ich eine Wortkonkordanz, ein Bibellexikon, eine Synopse oder einen Kommentar hinzuziehen. Jedoch sollte es in der Zeit der Betrachtung nicht um das bibelwissenschaftliche Studium gehen, sondern um die persönliche Begegnung mit Gott in seinem Wort, in Christus Jesus.
Die Exegese kann jedoch eine gute Vorbereitung auf die biblische Betrachtung sein.

Vielleicht ist es eine erste Hilfe zum Verständnis der Struktur des Textes, ihn beim Abschreiben optisch aufzugliedern, indem ich in einer Spalte untereinander schreibe, was sich auf die Knechte bezieht, in einer anderen Spalte, was sich auf ihren Herrn bezieht. Wenn Begriffe sich wiederholen (der Text verwendet beispielsweise sechsmal das Wort »kommen«) oder Satzteile vom Sinn her zusammen gehören, kann ich das durch eine eigene Farbe oder hier durch eine besondere Schrifttype kenntlich machen.

Lasst Eure Lenden UMGÜRTET sein
Und Eure Lichter brennen
Und seid gleich Menschen,
die auf ihren Herrn warten,
wann er aufbrechen wird von der Hochzeit,
damit, wenn er kommt und anklopft,
sie ihm sogleich auftun.

Selig sind die Knechte, die der Herr,
wenn er kommt, wachend findet.
Wahrlich, ich sage Euch:
Er wird SICH SCHÜRZEN
Und wird sie zu Tisch bitten
Und kommen
Und ihnen dienen.
Und wenn er kommt
in der zweiten oder dritten Nachtwache
Und findet´s so:
Selig sind sie.

Das sollt Ihr aber wissen:
Wenn der Hausherr wüsste,
zu welcher Stunde der Dieb kommt,
so ließe er nicht in sein Haus einbrechen.
Seid auch Ihr bereit!
Denn der Menschensohn kommt
zu einer Stunde,
da Ihr´s nicht meint.

Einige Hinweise zu unserem Beispiel Lk 12,35-40.
Viele stolpern gleich über die erste Formulierung
»Lasst eure Lenden umgürtet sein«
.
Die Deutsche Bibelgesellschaft hat eine preiswerte Studienausgabe der Stuttgarter Erklärungsbibel herausgegeben, die in ihrem Kurzkommentar eine wichtige Spur öffnet, indem auf 2 Mose 12,11 verwiesen wird:

»So sollt ihr das Passa essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es essen als die, die hinwegeilen; es ist des Herrn Passa.«

Außerdem wird auf die Erklärung zu 2 Könige 9,1 verwiesen, dass zum Gehen das sonst störende, locker herabhängende Obergewand durch einen Gürtel hochgerafft wurde, und dass mit den Lenden die Hüften gemeint sind. Indem wir solche Informationen über die damals übliche Kleidung und die Textparallele aus der Passageschichte hinzuziehen, wird verständlicher, was Jesus in Lk 12,35 gemeint haben könnte:

»Seid bereit, sofort aufzubrechen, wenn der Herr kommt. Haltet nicht fest an eurem Sklavendasein in Ägypten, haltet nicht fest an Eurer Opferrolle, an Euren Verletztheiten und dem Gewohnten, sondern seid bereit zum Aufbruch ins gelobte Land, auch wenn der Weg durch die Wüste führt. Gebt Euch nicht zufrieden mit der Welt der Unterdrückung. Resigniert nicht. Bleibt wachsam. Denn Gott kommt und wendet Euer Schicksal.«

Der Hinweis auf 2 Mose 12,11 öffnet einen neuen Zusammenhang zwischen dem »die Lenden umgürtet lassen« und dem »Mahl«. Dieselbe Motivkombination findet sich in Lk 12,35ff mit dem unerwarteten Verhalten des Herrn, dessen Rückkehr die Knechte erwartet haben: »Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.«

Und ein Querverweis in der Stuttgarter Erklärungsbibel bringt noch 1 Petr 1,13ff ins Spiel: »Umgürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi.« ...

Es steht geschrieben:
»Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.« ...
»Denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst worden seid ..., sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.«

Auch hier geht es um das Umgürtet-Bleiben, um die Bereitschaft zum Aufbruch als unsere Antwort auf die teure Erlösungstat Christi, dessen Blut uns freikauft aus der Knechtschaft, so wie das Blut des Passalammes die Israeliten in Ägypten vor dem Todesengel schützte. Dass es zum Heiligen Tausch (Martin Luther) kommt zwischen Knechten und Herrn, wird die Jünger und Hörer der Lk-Stelle 12,35ff erstaunen: Der von einer Hochzeit spät in der Nacht kurz vor Morgengrauen zurückkehrende Herr, bedient seine Diener und lädt sie zum Festmahl. Dass unseren Herrn das etwas kostete, dass er selber das geschlachtete Passalamm ist, dass er sich selbst in Brot und Wein den Jüngern zu essen gab, als er das Passamahl vor seiner Hinrichtung feierte, all das kann uns verdeutlichen, wie sehr er uns liebt und warum es sich lohnt, auf ihn zu warten. Wenn wir ihn jedoch aus den Augen verlieren und mit seiner Rückkehr nicht mehr rechnen, werden wir uns - seine Diener - nur zu leicht zu Hausherren (Lk 12,39) aufspielen, die auf ihr eigenes Haus stolz sind und es verteidigen werden, wenn sie wüssten, zu welcher Stunde der Dieb kommt.

Auf der zwischenmenschlichen Ebene deutet Jesus sogar noch drastischer an, wohin es führt, wenn seine Jünger nicht mehr Diener sein wollen und in ihrem Herzen sagen: »Mein Herr kommt noch lange nicht« und anfangen, andere »Knechte und Mägde zu schlagen und sich voll zu saufen« (Lk 12,45).

Wie die Mächtigen ihre Macht über andere missbrauchen, ist Thema, als Jesus mit seinen Jüngern das Passamahl feiert und die Jünger in Streit darüber geraten, wer denn der Größte unter ihnen sei. Jesus weist sie scharf zurecht: »Ihr aber nicht so! Sondern der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste, und der Vornehmste wie ein Diener. Denn wer ist größer, der zu Tisch sitzt oder der dient? Ist's nicht der, der zu Tisch sitzt? Ich aber bin unter euch wie ein Diener« (Lk 22,26f).

Damit stellt sich uns die Frage, ob wir bereit sind, uns von Jesus bedienen zu lassen und von ihm zu lernen, um uns nicht von unserem Konkurrenzdenken und Machtgehabe beherrschen zu lassen. Wenn wir uns jedoch als die Hausherren aufspielen, unser Haus unserer Leistungen, Erfolge und Statussymbole errichten, kann der wiederkehrende Christus von uns nur noch wie ein Einbrecher in der Nacht empfunden werden (Lk 12,39), der unser Haus der Selbstsicherheit durcheinander bringt. Der Hausherr, der wie der reiche Kornbauer seine Scheunen vergrößert, um mit großen Vorräten seine Zukunft abzusichern, ist vor Gott letztlich ein Narr (Lk 12,16-21).

Ihr könnt und braucht Euer Leben nicht zu sichern, sagt uns Jesus. Lebt aus dem Vertrauen auf Gott! »Umgürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade« (1 Petr 1,13) und nicht auf eure Werke, auf eure selbstgebauten Karten-Häuser, wenn ihr meint, Euch damit gegen Gott absichern zu können.

»Alles, was im Menschen dem freien Geschenk des Glaubens vorausgeht und nachfolgt, ist nicht Grund der Rechtfertigung und verdient sie nicht«, heißt es in der Gemeinsamen Erklärung (GE25) der röm.-kath. Kirche und des Lutherischen Weltbundes zur Rechtfertigungslehre vom 31.10.1999.

So brauchen auch wir Jesu Ruf zur Wachsamkeit und zum Umgürtet-Bleiben nicht misszuverstehen, als müssten wir uns einen Platz an seinem Tisch »verdienen«. Je mehr wir ihn entdecken, verstehen und lieben lernen,
·  desto sehnsüchtiger werden wir auf ihn warten
·  desto weniger werden wir uns abfinden mit der Welt, wie sie nun einmal ist, und
·  desto unruhiger wird unser Herz, gegürtet und zum Aufbruch bereit, bis es Ruhe findet in Ihm.

Welches Motiv des Textes spricht mich besonders an?
·  Das des dienenden Christus
[von seiner Entäußerung in der Menschwerdung bis zum Tod am Kreuz (Phil 2,6-11)]
·  das der Fußwaschung (Joh 13) und
·  das des Tischdienstes für seine Diener (Lk12,37)], oder
·  das der Tischgemeinschaft mit ihm [das »himmlische Mahl«, das Abendmahl - die Eucharistie, in der er sich selber gibt]
·  das des Umgürtetseins als Bereitschaft zum Aufbruch
[das Pascha, die geschenkte Befreiung aus der Knechtschaft]
·  das der dritten Nachtwache
[viele Adventslieder bringen die Sehnsucht zum Ausdruck, dass Er doch endlich kommen möge - das der Zumutung des Herrn, erst so spät zu kommen, und
·  das der Erfahrung, die er uns so ermöglicht; die Bitte um Ausdauer und genug Öl in den Lampen (Mt 25,1-13)] oder
·  das Bild des Einbrechers und Diebes in der Nacht
[der trotz unserer Verschlossenheit und Widerstände in »unser« Haus eindringt, um einen Weg
·  zu uns zu suchen] oder
·  das der Seligkeit der wachenden Knechte, die zu Tisch gebeten werden? Gott teilt sich mir mit in seinem Wort. Was möchte er mir sagen und zeigen?
·  Was bedeutet der Text für mich (bzw. für unsere Gemeinde etc.) in meiner / unserer jetzigen Situation?
·  Worauf warte ich (noch)? Wie zeigt sich das in dem, womit ich mich real im Alltag beschäftige?
·  Kenne ich Menschen, die sehnsüchtig warten?
Wartende aus der Vergangenheit wie Martin Luther King im Einsatz für die Bürgerrechte der Schwarzen in den USA oder der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld im Kampf gegen die Hexenverfolgung (von ihm stammt unser Adventslied »O Heiland, reiß die Himmel auf«)?
·  Welche Wartenden aus meinem Bekanntenkreis fallen mir ein?
Für wen möchte ich besonders beten?
·  Wie könnte mein Alltag aussehen, wie könnte ich meine nächste Adventszeit gestalten, wenn ich einem Menschen gleichen möchte, der auf seinen Herrn wartet (Lk 12,36)?
·  Was kann mir ganz konkret dabei helfen?

Mit der dritten Seelenkraft des Willens ist keinesfalls gemeint, in einen »Voluntarismus« zu verfallen, nach dem Motto: »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg«. Mit eigener Anstrengung ist im geistlichen Leben nicht viel zu erreichen. Das Entscheidende kann mir nur geschenkt werden, die Begegnung mit dem lebendigen Gott. Ich kann sie nicht machen oder herbei zwingen.

Aber - mit Gottes Gnade - kann ich mich vorbereiten, indem ich »umgürtet bleibe« und meine »Lampe brennen lasse«, auch wenn es »bis zur dritten Nachtwache« (Lk 12,38) dauert. Zeiten der geistlichen Leere und Trostlosigkeit bleiben nicht aus. Wir warten auf ihn, aber er kommt nicht oder noch nicht. Wie will und kann ich solchen Erfahrungen begegnen?

Die »Trostlosigkeit«, den «Misstrost«, beschreibt Ignatius von Loyola in seinen Regeln zur Unterscheidung der Geister folgendermaßen:
Erfahrungen »wie Dunkelheit der Seele, Verwirrung in ihr, Regung zu niederen und irdischen Dingen, Unruhe von verschiedenen Bewegungen und Versuchungen, die zu Unglauben bewegen, ohne Hoffnung, ohne Liebe, wobei sich die Seele ganz träge, lau, traurig und wie von ihrem Schöpfer und Herrn getrennt findet.« (Exerzitienbuch Randnummer EB317)

Er rät, in solchen Zeiten keine Änderungen vorzunehmen, sondern zu den Entscheidungen aus der Zeit zu stehen, ehe die Zeit der Trostlosigkeit begann, und mehr Nachdruck auf das Gebet und die Besinnung zu legen.

»Drei Hauptgründe sind es, warum wir uns trostlos finden:
Der erste ist:
Weil wir lau, träge oder nachlässig sind in unseren geistlichen Übungen; und so entfernt sich wegen unserer Fehler die geistliche Tröstung von uns.
Der zweite:
Um uns zu prüfen, für wie viel wir taugen und wie weit wir uns in seinem Dienst und Lobpreis ohne solchen Sold der Tröstungen und gesteigerten Gnaden länger einsetzen.
Der dritte:
Um uns wahre Kenntnis und Einsicht zu geben, damit wir innerlich verspüren, dass es nicht bei uns liegt, gesteigerte Andacht, intensive Liebe, Tränen oder irgendeine andere geistliche Tröstung herbeizubringen oder zu haben, sondern dass alles Gabe und Gnade Gottes, unseres Herrn, ist; und damit wir uns nicht in fremder Sache einnisten, indem wir unseren Verstand zu irgendeinem Hochmut oder eitlem Ruhm erheben und die Andacht oder die anderen Eigenschaften der geistlichen Tröstung uns zuschreiben« (EB322).

Um der eigenen Trägheit entgegen zu wirken und nicht aufzugeben, wenn wir mit Trostlosigkeit und unseren eigenen Macken konfrontiert sind, bedarf es einer Entschiedenheit zu einem regelmäßigen geistlichem Leben. Und es bedarf des vertrauensvollen Gebets, so wie Jesus es uns versprochen hat:

»Bittet,
so wird euch gegeben;
suchet,
so werdet ihr finden;
klopfet an,
so wird euch aufgetan«

Mt 7,7

·  Worauf möchte ich in Zukunft stärker achten? Was möchte mir der Bibeltext empfehlen?
·  Um welche Gnade bitte ich? Um Ausdauer und Wachsamkeit, auch wenn er erst »zur dritten Nachtwache« kommt?
·  Um »das Dennoch« der Hoffnung gegen alle Resignation?
·  So, als grosses «Dennoch«, als grosses «Trotzdem« erfahren wir ausserhalb des Glaubens unsere Hoffnung; in Wirklichkeit ist bedingungslos geliebt von Gott alles, was es ausser Ihm noch gibt, und das versucht albernerweise dagegen an zu trotzen, sich «dennoch« auf einer Position zu halten, die ihm im Angesicht des dreifaltigen Gottes gar nicht zukommt.
·  Um die Bereitschaft zum Aufbruch und das Loslassen des Gewohnten? Bin ich bereit, Ihm zu öffnen, wenn er anklopft? Kann ich Gott darum bitten, dass er mir diese Bereitschaft schenkt und mir hilft, meine Widerstände gegen ihn abzubauen?

Ignatius fragt die, die nicht das Verlangen nach Gott in sich spüren, danach, ob sie wenigstens das »Verlangen nach dem Verlangen« haben möchten. Kann ich zumindest darum ehrlich beten?
·  Auch wenn es für manche ungewohnt sein mag:
Haben Sie Mut, wie Hiob, Elia (1 Könige 19,4) und Jeremia, auch ihre Widerstände gegen Gott ins Gebet zu bringen, so dass er wirklich Ihnen begegnen kann.

»Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen.i...
Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren bin.i...
Warum bin ich doch aus dem Mutterleib hervorgekommen, wenn ich nur Jammer und Herzeleid sehen muss und meine Tage in Schmach zubringe?«

Jeremia 20,7a.14a.18

·  Was ist »Ihr Haus«, das Sie gegen Einbrecher schützen wollen? Wo lassen Sie Gott nicht an sich heran? Da Sie so, wie Sie sind, von Gott unüberbietbar geliebt werden, und ER sie kennt, besser als Sie sich selbst, brauchen Sie sich nicht vor ihm zu verstecken. Im Vertrauen auf seine grenzenlose, also je größere Liebe können sie auch ihre unangenehmen Seiten wahrnehmen und annehmen.

Vielleicht hat er eine überraschende Antwort für Sie. Der Weg der Vergebung und des Neuanfangs steht Ihnen immer offen.
Vielleicht nimmt er Ihnen das »Herz aus Stein« und gibt Ihnen ein »Herz aus Fleisch« wie es in Hesekiel 36,26f verheißen ist:

»Ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun.«

Das kontemplative Beten bietet für manche einen noch direkteren Weg ins Dasein vor Gott und mit Gott und in Gott. Anhand des Textes Lk 12,35-40 könnte dieser Weg nach den oben beschriebenen Vorbereitungsübungen, dem Vorbereitungsgebet und der Atemübung ganz einfach darin bestehen, mit jedem Einatmen zu beten:

»Komm«
und mit jedem Ausatmen

»O Herr«
oder

»Christus«

Oder noch einfacher:
alle Aufmerksamkeit auf Ihn zu richten und im Schweigen ganz da zu sein, ohne noch auf den Atem zu achten oder im Atemrhythmus eine Variante des Jesusgebets wie das »Komm, o Herr« ausdrücklich zu beten. Sehr hilfreich ist dazu das Buch Franz Jalics', Kontemplative Exerzitien, Echter Verlag, Würzburg 1998, 5. Auflage. In ihm finden sich neben konkreten Anleitungen auch typische Gespräche aus seiner Begleitung der Exerzitanten mit vielen Hinweisen, wie mit praktischen Schwierigkeiten in den Übungen umgegangen werden kann.

Was sucht der Wartende aus Lk 12,35ff?
Er wartet auf seinen Herrn. Er rechnet nicht damit, dass dieser ihn groß beachtet, wenn er kurz vor dem Morgengrauen von der Hochzeit zurückkehrt. Erst recht ahnt er nichts von den vertauschten Rollen, dass sein Herr ihn sogar bedienen und zu Tisch bitten will.

Was suchen wir in der Betrachtung?
·  Das «Gefühl« der Nähe Gottes und Geborgenheit in ihm oder ihn selbst, auch wenn er uns Zeiten der »Trostlosigkeit« zumutet?
·  Die Klarheit über eine wichtige Frage, in der wir vor oder in einer Entscheidung stehen?
·  Eine vertiefte Selbsterkenntnis?
·  Eine besondere Erleuchtung, die uns zu interessanten Dialogpartnern für andere macht?

In der Berg«predigt« heißt es:

»Ihr sollt nicht sorgen und sagen:
Was werden wir essen?
Was werden wir trinken?
Womit werden wir uns kleiden?
Nach dem allen trachten die Heiden.
Denn euer himmlischer Vater weiß,
dass ihr all dessen bedürft.
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen«

Mt 6,31-33

In den Übungen geht es um eine solche «Selbstlosigkeit« und Offenheit für die Begegnung mit Gott. Um den anderen Interessen und dem eigenen Erwartungsdruck entgegen zu steuern, sagte Franz Jalics SJ zu Beginn eines Kurses:
»Dies ist eine verlorene Zeit. Eine Zeit, die wir an Gott verschenken und bei der wir es ihm überlassen, was er damit macht.«

So wichtig es ist, die Übung bewusst zu beginnen, so wichtig ist auch ein bewusster Abschluss. Auch dazu kann sich mit der Zeit ein eigener Ritus herausbilden. Sei es, dass ich mich vor Gott verneige, das »Vater Unser« bete, Gott danke für alles, was mir neu aufgegangen ist und ihn um seinen Segen bitte. Welche Körperhaltung passt zu meinem Abschluss? Sitzen, Knien, Stehen?

Wenn es mir hilft, kann ich mir im Anschluss an die Meditation nach einer kurzen Pause, (in der ich meinen Körper strecke oder ausschüttele, frische Luft ins Zimmer lasse etc.) einige Notizen über meine Zeit der Betrachtung machen. Fragen für die Reflexion könnten sein:
·  Was hat mich angesprochen
·  Was ist mir »hochgekommen«
·  Welche Gefühle hat die Betrachtung ausgelöst
·  Wofür kann ich danken
·  Worum möchte ich weiterhin bitten
·  Worauf möchte ich künftig achten
·  Was möchte Gott mir besonders mitteilen

Um weiter zu klären, welchen Impulsen ich weiter folgen soll, können das Gespräch mit einem erfahrenen geistlichen Begleiter sinnvoll sein und ein Prüfen der Impulse mit den Regeln zur »Unterscheidung der Geister«, wie sie beispielsweise von Ignatius im Exerzitienbuch, Randnummern 313---336 in einer uns teilweise fremden mittelalterlichen Begrifflichkeit zusammengestellt wurden.



Eine verständlichere Übertragung findet sich im Nachlass Georg Mühlenbrocks SJ:

Erstens
In der Regel spricht für die Herkunft vom Geist Gottes:

1
Wenn mir für ein Vorhaben gute Motive zur Verfügung stehen
2
Wenn mir auch die nötige Zeit und Kraft dafür gegeben ist
3
Wenn sich etwas gut einfügt in den Rahmen meiner anderen Aufgaben und Verpflichtungen
4
Wenn sich etwas »wie von selbst« mir nahe legt
5
Wenn ich bei der Erwägung eines Vorhabens ein »gutes Gefühl« habe, mag das Vorhaben auch noch so schmerzlich und hart für mich sein
6
Wenn die betreffende Sache auch ästhetisch schön und ansprechend ist
7
Wenn ich mir gut vorstellen kann, dass auch Jesus so entscheiden und handeln würde
8
Wenn ich mich bei einem Vorhaben »in guter Gesellschaft« befinde (vgl. Leben der Heiligen)
9
Wenn ein Vorhaben in mir Glauben und Vertrauen hervorruft bzw. herausfordert
10
Wenn es der Liebe dient: Ausdruck der Liebe ist und sie stärkt

Zweitens
In der Regel kommt nicht vom Geist Gottes und entspricht also nicht dem Willen Gottes, zuerst darum bemüht zu sein, sein Reich bekannt zu machen, seine unendliche Güte weiter zu sagen

1
Was über meine Kräfte geht, was mich permanent überlastet und überfordert
2
Was nur mit äußerster Anstrengung, mit Gewalt und Krampf verwirklicht werden kann, mit viel Hast und Hektik verbunden ist und Ängste auslöst
3
Was masslos und verstiegen anmutet, aufsehenerregend und sensationell auf mich und andere wirkt
4
Was ich nur mit dauerndem Widerwillen und Ekel tun kann
5
Was sich ordinär, primitiv und unästhetisch gibt
6
Was kleinlich, haarspalterisch und spinnig wirkt
7
Was keine Erdnähe hat und nicht konkret werden kann (vgl. 1-Joh 4,1-4: Das inkarnatorische Prinzip)
8
Was lieblos ist und sich für mich und andere destruktiv auswirkt
9
Was nicht zu der Art und Handlungsweise Jesu passt, wie ich ihn kennen gelernt habe
10
Was mir den Sinn für das Gebet und die Freude daran raubt

Veröffentlicht in
Verkündet die
Großtaten Gottes

herausgegeben von
Medard Kehl SJ
Würzburg: Echter 1997
S. 42f



Christus sei
vor dir, um dir den rechten Weg zu zeigen.
Christus sei
neben dir, um dich in die Arme zu schließen und dich zu schützen.
Christus sei
hinter dir, um dich zu bewahren vor der Heimtücke böser Menschen.
Christus sei
unter dir, um dich aufzufangen, wenn du fällst.
Christus sei
in dir, um dich zu trösten, wenn du traurig bist.
Christus sei
um dich herum, um dich zu verteidigen, wenn andere über dich herfallen.
Christus sei
über dir, um dich zu segnen.

So segne dich der in allem mächtige + Gott.


Mit freundlicher Erlaubnis
Michael Hanfstängls, Pastor,
der sich über Rückmeldungen,
Verbesserungsvorschläge und
Rückfragen sehr freut:

Nordelbisches Zentrum
für Weltmissionsdienst
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übersetzt und
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