Engel - und die Notwendigkeit der Möglichkeit

 

Als nun der König in seinem Hause saß und der Herr ihm Ruhe gegeben hatte vor allen seinen Feinden umher, sprach er zu dem Propheten Herr ist mit dir. In der Nacht aber kam das Wort des Herrn zu Nathan: Geh hin und sage zu meinem Knecht David: So spricht der Herr: Solltest du mir ein Haus bauen, dass ich darin wohne? Ich habe dich genommen von den Schafhürden, damit du Fürst über mein Volk Israel sein sollst, und bin mit dir gewesen, wo du hingegangen bist, und habe alle deine Feinde vor dir ausgerottet; und ich will dir einen großen Namen machen gleich dem Namen der Großen auf Erden. Und ich will meinem Volk Israel eine Stätte geben und will es pflanzen, dass es dort wohne und sich nicht mehr ängstigen müsse und die Kinder der Bosheit es nicht mehr bedrängen. Und wie vormals, seit der Zeit, da ich Richter über mein Volk Israel bestellt habe, will ich dir Ruhe geben vor allen deinen Feinden. Und der Herr verkündigt dir, dass der Herr dir ein Haus bauen will. Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern schlafen legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen. Dem aber, der euch stärken kann gemäß meinem Evangelium und der Predigt von Jesus Christus, durch die das Geheimnis offenbart ist, das seit ewigen Zeiten verschwiegen war, nun aber offenbart und kundgemacht ist durch die Schriften der Propheten nach dem Befehl des ewigen Gottes, den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden: dem Gott, der allein weise ist, sei Ehre durch Jesus Christus in Ewigkeit! Amen.

Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazaret, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

Beim Kölner Bleistiftverleih seien sie inzwischen gern gesehen und Großkunde, schrieben mir Schüler, aber auch: sie würden beim besten Willen nicht fündig. Bei Gott sei ja wohl kein Ding unmöglich, aber bei ihnen. Sie brächten einfach nichts zusammen.

Im Hertie hätten sie gefragt, im Kaufhof, bei Karstadt: Nichts. Alle Hagenuk-Typen seien sie durch. Nein, hätte es immer geheißen, damit könnten sie nichts anfangen. Ihr Fragen hätte beeindruckt, ihre Blocks noch mehr, aber gefunden? Nichts!

Es scheint tatsächlich so: Engel sind aus der Mode. Kein Mensch weiß etwas damit anzufangen. »Engelchen« heißt es noch ab und an, aber kaum einer der Borussen-Fans schläft wie früher unter der Brücke, den zwei Flügeln und dem Kind dahinter, das erblindet scheint ... Meine Schüler mit den Fragebogen hätten sie fast verprügelt - in der Südkurve.

Es scheint tatsächlich so: Engel sind aus der Mode. - Schade, denn eigentlich sind Engel im Himmel nichts Besonderes (George Bernard Shaw).

Ausgehend vom Wort Gottes, dass alle Geschöpfe mit seinem eigenen göttlichen Leben ausgestattet sind, völlig bedingungslos und von ihrem allerersten Anfang an, lassen sich die Engel einteilen.

Engeln bleibt nichts anderes übrig, als damit zu leben, dass es kein Dogma gibt, nach dem es sie gibt. Es gibt nur ein Dogma, das sie auf der Seite der Welt sieht, wenn es sie gibt. Kein Engel ist also Gott oder ihm ebenbürtig. Sollte ein Engel auf die Idee kommen, gegen Gott zu kämpfen, eine Idee aus beneidenswertem Tiefschlaf, wird ihm der Atem ausgehen. Atmen müssen die Engel, sie gehören auf die Seite der Schöpfung. Das ist alles, was unsere Kirche zu Engeln zu sagen hat. Das ist auch vernünftig, denn richtige Engel reden nicht über sich. Engel sind von derselben Luft umgeben wie Gott, da fällt ihnen anderes ein!

Gemalte Engel reden oft in Fremdsprachen. Die geschriebenen sind auch dazu da, dass ihnen zugehört wird. Am besten läßt man sie sich vorlesen! - Der heute vorgelesene Engel ist solche Literatur und nur so historisch wie Literatur! Und die ist immer historisch, besonders wenn man sie auf sich wirken läßt. Dazu hörten wir aus dem Evangelium, also eine Predigt, keinen Abriß erhabener Geschichtsforschung.

Die Cheruben und sonstigen himmlischen Heerscharen im Theater und die im Film sind einwandfrei zu hören; die bayerischen und die allgemein putzigen Putten sind Geschmackssache.

Allen Engeln ist gemein, dass sie Infoträger sind: Gesandte, Herolde, Boten. Mit guter Presse sind es Engel Gottes; mit bestechlichen Ghostwritern Engel der Welt. - Manche sagen sich selber, sie behaupten sich. Andere sagen bescheiden sich selbst: Die Hauptsache. Davon hat man dann »etwas«! Wenn man hinhört.

Die meisten Boten sprechen ihretwegen, einige verstehen sich aber als Diener, Diener der Freude. Viele, sehr viele Engel drohen. Sie verbreiten Angst und Zittern. Leise Engel hinterlassen einen guten Eindruck: Man sieht sich auf einmal gar nicht mehr so allein, obwohl sie weg zu sein scheinen, nachdem sie gingen.

Einige Engel heißen Peter. Von einem werde ich erzählen. Er saß in der Straßenbahn, und die war fast leer. Als sie brechend voll geworden war, knickte er so richtig in sich zusammen, hatte die Hand vor den Augen und sagte rein gar nichts. Erst als er gefragt wurde, da meinte er zu der alten Frau, nein, es wäre ihm nicht schlecht, er könne nur einfach nicht mit ansehen, wenn eine Frau stehen müßte ... - Zu welcher Engelsorte die Dame gehört, ist nicht überliefert. Engel können übrigens ihren Dienstherrn wechseln. Einige sind gut beraten, das zu tun; wenige könnten dabei gewinnen: Sie haben gewählt: Ihre Erwählung.

Ein anderer Engel, er war noch jung und unerfahren, fragte einmal Franz von Sales, was er für den Frieden tun könne. »Schließen Sie bitte die Tür etwas leiser!« - Er tut das heute noch; achten Sie doch mal darauf, und grüßen Sie ihn bitte von mir.

Ein wiederum anderer Engel war noch klein und etwas behindert - wer ist das nicht?! - Er war gerade dabei, einen Adventskranz zu bauen. Ganz allein. Als er damit fertig war, wurde er von der Mutter sehr gelobt.

Aber der kleine Junge hörte doch einen gewissen Unterton im Lob. Engel hören besonders gut zu, sie sind ja zum Sprechen auf der Welt. Unser kleiner Adventskranzengel paßte daher auf, was wohl geschehen würde. Der Junge kannte diesen Unterton, er kam oft genug vor. Er wollte herausbekommen, was er diesmal bedeute.

Bald hatte er es: Alle Erwachsenen lobten das Grün und das Band und den Erbauer, schauten dann aber weg. Die ersten Kinder, die kamen, die machten den Unterton dann aber sehr schnell zum Oberton: »Aber der hat ja fünf Kerzen!« Und sie lachten sich halb schief.

Gottseidank nur halb, sie hatten gute Schutzengel! So konnten sie am Schluß der Geschichte wieder sprechen statt nur albern zu lachen. Sie hatten genau hingehört, als Engel Herrlitzer vor dem Opernabend noch schnell hereinschaute. Frau Herrlitzer, die Nachbarin, gab der Mutter der fünften Kerze ihren Wohnungsschlüssel und entdeckte sie. Sie freute sich so sehr darüber, dass sie vorschlug, sie sofort anzuzünden:

Eine eigene Kerze für das Christkind, die müsse doch auch brennen und leuchten! (Gekürzt und sinngebend geändert nach Margarete Kubelka, Deutsche Tagespost, 9.12.1989)

Engel mit autorisierter Botschaft sind das eigentliche Ereignis in der Geschichte, und deshalb ist es gut, dass sie aus der Mode kamen. Da gehören sie gar nicht hin.

Richtige Engel kommen nicht aus uns, sondern zu uns. Das ist der Unterschied zwischen den Engeln. »An sich« sind Engel ja gar nichts, aber um ihrer Botschaft wegen sind sie unverzichtbar. Weil sie aus Gottes Welt in unsere Welt kommen, sind sie es gewohnt, dass ihnen genau zugehört wird! Was meinen Sie, wie gut Gott hören kann! Seine Liebe ist ja auch keine Einbahnstraße. Zuhören ist auch nötig, für Gott ja eigentlich nicht, aber für uns, da die Botschaft richtiger Engel verblüffend ist: Wer um alles in der Welt hätte denn auch schon damit gerechnet, dass unsere Welt so sehr Gottes Welt ist, dass er ihr mit derselben Liebe zugewandt ist, mit der er, der Vater, seinen Sohn liebt: Grenzen- und bedingungslos. So kann man die Botschaft richtiger Engel mit einem feurigen Schwert, mit einem feurigen, zweischneidigen Schwert vergleichen.

Aber natürlich nur vergleichen, denn in Wirklichkeit ist ja nur Gottes unendliche Güte wirklich feurig und zweischneidig. Andere feurige Schwerter gibt es nicht.

Die falschen Engel, die unnützen, brauchen immer ihre standesgemäße Umgebung, weil ihre Botschaft ja nicht so richtig taugt. So verkündete einer dieser Schelme die Geburt Johannes des Täufers festlich proklamierend im Tempel zu Jerusalem. War das ein Auflauf dann. Hinterher kam dann alles raus und fast jeder dahinter: Nichts als Schall und Rauch. -

In Galiäa dagegen, wo gar nichts los ist, wo noch nie was los war, wo alle Bürgersteige viel zu früh hochgeklappt werden, in Galiäa, das in jeder Art strengen Judentums nicht viel hermacht und angesehen ist schon mal gar nicht, da kann man manchmal etwas anderes hören als den Mond. Aber wie gesagt, immer in Galiläa. Weil da nichts los ist, nichts wirklich los ist. Weil da sonst nichts los ist. Wo ist schon was los?! Der Weg nach Galiäa kann also so weit nicht sein.

Da, in Galiläa, da sprechen Engel, die die Sonne im Mund haben, ursprüngliches Licht. Zum Verschenken. Man glaubt es kaum! - Keine Eintrittskarten und nichts.

Die richtige Antwort auf diese Sonnenengel? »Mir geschehe!« So sagte man früher feierlich und engelangemessen für: »Ich glaube, hilf meinem Unglauben!« Das war damals Ernst, es wurde wirklich gelassen und nicht gemacht und getagt, nicht gemanagt, gesorgt!

Von einer Engelbegebenheit möchte ich zum Schluß erzählen, weil ich dabei war. Genaugenommen war es noch ein Engellehrling. Das merken Sie schon an der Kulisse: Alles aufgeregt, der Direktor in der Mitte, alle Lehrer mit Krawatte und ganz ohne den Eindruck, endlich nach Hause zu können. Und dann das!

Die Vorgängerin unseres Engelazubis, kläglich gescheitert, hatte eine Bühne hinterlassen, die glich dem reinsten Chaos. Nur der Direktor, selber vom Fach, sogar evangelisch, war noch dafür, dass die Kandidatin wenigstens einen Punkt erhielt - oder zwei.

Für Oekumene hätte man den siebten Sinn gebraucht: »Kommt ja gar nicht in Frage!« - »Das kommt vom vielen Filmegucken! Diese Himmelskomiker!« - Ein Mathematiker aus der Gastreihe. - »Man kann auch ohne Abitur …« - Das stand tatsächlich auf dem Spiel.

Auf dem Plan stand unser Engelstift. Auf dem Deckblatt unserer »Tonbandabschrift« stand Michael später: am 150790, vor Martin, einem einwandfreien Engel, und Arnold, diesem Bengel.

Aber jetzt stand er nicht lang herum, sondern legte los. Als der Protokollführer - ein hauptamtlicher Lutheraner - schweißgebadet, das letzte Examen des Tages vorüber, die Luft rein, der Engel entschwebt und nichts mehr zu fragen, geschweige denn aufzunehmen war, da löste das Feuer der Möglichkeit und der Nichtnotwendigkeit und der gleichzeitig notwendigen Möglichkeit - es ging um die Sakramente, wie Seraphen unschwer erhören - die Schärfe des Hörens, der Unausdenkbarkeit und der jungfräulichen Notwendigkeit, der möglichen Jungfräulichkeit und der weltlichen Unmöglichkeit und der himmlischen Unverzichtbarkeit des Mannas - da löste letzteres sich selbst ab:

Wohltuende Ruhe

Das Schweißtuch des möglicherweise nicht Mitgekommenen hörte niemand. Des Erzengels Bescheidenheit wartete notwendigerweise unter den Kastanien im Hof. - Ruhe. - Ruhe, notwendigerweise mögliche Ruhe! - Das »Mach Du das!«, stimmlos gepreßt vom hilflosen Pastor! machte mich sprachlos: Prüfer und gleichzeitig Protokollant?! - Und jetzt wieder solch eine Debatte? Kollegenneid? Mitten in Hannover katholisch - und dann Punkte abräumen?! - Ruhe. Kein Wort.

Es war nicht mein erstes Abitur, aber diese Ruhe - nach dem Gefecht eben! Bis ich merkte: Diese Ruhe war auch die Ruhe eines deutschen Gymnasiums. Die stört nicht einmal der Direktor. Der Prüfer ist als erster dran, ob aus dem Lehrling was wurde, zu sagen.

Ich hörte mich »Fünfzehn!« sagen: Wenn die anderen schon nichts verstanden hatten, so mußten sie doch kapiert haben, Zeugen theologischen Feuerwerks gewesen zu sein. Da war eine Sektkellerei explodiert. »Fünfzehn!« - Mehr gibts gar nicht, ein Abitur ist kein Skat.

Da leerte sich die Klasse. Kein Getöse, kein Streit, kein Gefeilsche. Nur Unterschriften und engliches Grinsen.

Und später? Da kam das Abitur in die Jahre und ins Studium, und Heike kam. Dass Engel auch heiraten können, vergaß ich am Anfang. Heike sagte: »Immanuel! - Gott mit uns!« - »Nicht nur!«, sagte der Engel, »Jesus! - Gott rettet« auch! - Und so kam Mirjam.

Am Dienstag, um 1:35 Uhr. 51 cm in 3.300 g und im Weyertal, evangelisch. - Meinen die einen.

Die anderen: »Ein Engel hat ihr gesagt, das Kind sei aus Heiligem Geist. Ob Maria oder Heike, tät gar nichts zur Mirjam. Michael sei auch kein Mond. Aber auch nicht die Sonne. Er sei der Sonnenschein. Und diese Natur sei aller Gnade voraus. Wo Natur, da Gnade. Nicht zur Zeugung bedürfe Gott des Menschen, seine unendliche Liebe, die jedes Geschöpf umschließt, sei jungfräulich unausdenkbar: Unabhängig von cm und g. Zur Geburt? - Freilich, die Menschwerdung kann auch Gott nicht ohne Engel. -

Richtige Engel kommen nicht aus uns, sondern zu uns. Und nicht nur zu denen, die hören. Zu Heike also auf jeden Fall!

»An sich« sind auch Erzengel gar nichts. Ihrer Botschaft wegen sind sie unverzichtbar. Weil sie aus Gottes Welt in unsere Welt kommen, sind sie genaues Zuhören gewohnt, die Tempel des Heiligen Geistes, Engel. Ihre Botschaft ist verblüffend:

Mirjam ist Christus Mirjam. Heike und Michael stehen da, und Ochs und Esel - bei Gott ist kein Ding unmöglich, was möglich ist, ist bei Gott - Ochs und Esel haben Telefon: 479 - 6…78…

Uns geschehe
Das Weitere findet Mirjam.


4. Advent
2 Sam 7, 1-5. 8b - 12. 14a. 16 Röm 16, 25ff - Lk 1, 26 - 38