Segne

 

Matthäus 20
Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen.
2 Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg.
3 Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen
4 und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist.
5 Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe.
6 Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da?
7 Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.
8 Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten.
9 Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen.
10 Als aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen.
11 Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn
12 und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.
13 Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen?
14 Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem letzten dasselbe geben wie dir.
15 Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?
16 So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.


Amsterdam, auf dem Flughafen verabschiedet sich gerade ein junger Familienvater; seiner Frau gibt er einen Kuß, seinem Töchterchen, erst einige Monate alt, macht er ein Kreuzchen auf die Stirn: Der Vater segnet es schnell. Ist jemand hier, der etwas dagegen hat? - Gegen beides nicht, weder gegen den einen noch gegen den anderen Kuß?

In Berlin, in Kreuzberg, im Kiez, nimmt einer jede Menge Koks, aber er liebt sein Söhnchen. In der Schlafecke macht er ihm ein Kreuzchen auf die Stirn, verstohlen - sieht ja keiner.

Hat jemand Einwände, ist jemand dagegen?

Amsterdam, Berlin - Cuxhaven. In Cuxhaven macht sich ein Seemann auf; er weiß nicht, ob er seine Mutter noch in der Wohnung antrifft, wenn er von der großen Reise zurückkommt, er gibt ihr den einen und den anderen Kuß, beide unrasiert.

Hat jemand Einwände, ist jemand dagegen?

Amsterdam, Berlin, Cuxhaven - Düsseldorf. Eine Mutter streckt ihren Arm durchs Gitter und macht ihrem einzigen Sohn, tätowiert und ziemlich jenseits, ein Kreuzchen auf den Handrücken; der Grüne sieht ja nix, im Knast.

Hat jemand Einwände, ist jemand dagegen? -
Keiner?! Gut, fangen wir mit der Predigt an!

Stellt Euch bitte ein Mädchen vor. Es spricht so, wie man da spricht, wo es geboren wurde: in Ghana, ziemlich weit von hier, in Afrika. Wir würden kein Wort verstehen, wenn es hier hereinkäme und uns sein Lieblingslied vorsänge.

Dafür versteht der Lockenkopf aus unserer Sprache nur das Wort Amen. Wenn man ihm einen Kaugummi hinhält, kapiert es natürlich, daß es das angeboten bekommt, daß es das nehmen darf, aber keiner von uns hier könnte dem Mädchen sagen, wann es Geburtstag hat.

Und ein anderes Mädchen wollen wir uns vorstellen. Beide sind dick befreundet, sie wohnen in Afrika im selben Haus. - Die Mutter des schwarzen Mädchens führt den Haushalt. Stellen wir uns auch gleich des schwarzen Mädchens beste Freundin vor. Dieses andere Mädchen ist weiß, vor zwölf Jahren in Godesberg geboren und vor Jahren mit der ganzen Familie nach Afrika ausgewandert. Der Vater vertritt unser Land dort als Konsul, als Generalkonsul sogar. Dieses zweite Mädchen, vor dessen Fenster jeden Tag die schwarz-rot-goldene Flagge weht, spricht deutsch im Singsang von Godesberg, englisch wie My Fair Lady und natürlich ghanaisch wie seine beste Freundin.

In der Schule sitzen sie nebeneinander, natürlich. Das weiße könnte dem schwarzen Mädchen dolmetschen, wer hier heute Geburtstag hat. Aber es hat lange vergessen, wo die Mosel fließt, was bei uns ein Brötchen kostet, und unsere neuen Geldscheine hat es überhaupt noch nie gesehen.

Stellt Euch nun bitte vor, diese beiden Mädchen wären ganze 14 Tage vor den letzten Sommerferien, zwei Wochen also nur vor den Jahreszeugnissen, nach Deutschland und in Sebastians Klasse gekommen. Sebastian ist der Ministrant dort in der ersten Reihe.

Beide Mädchen verstanden im Unterricht so gut wie gar nichts. Trotzdem hatten beide im Zeugnis in jedem Fach eine »Eins«.

Gott ist so: Jedem Menschen schenkt er das ganze Himmelreich. Jedem Menschen schenkt er sich selbst. So ist Gott. Jeden Menschen nimmt er von Anfang an in den Himmel auf, in seine zum Sohn.

Gott ist so: Jedem Menschen gibt er viel viel mehr, als der Mensch verdient: Den Himmel kann sich kein Mensch verdienen, niemals. Jedem Menschen gibt er mehr, als er verdient; jedem Menschen schenkt er, was er braucht: Seine Liebe, unendliche Liebe, den Himmel.

Alle Menschen leben von ihrem Anfang an im Himmel, im Heiligen Geist, mittendrin in der unendlichen Liebe des Vaters zum Sohn. Manchen von ihnen wird das von ihren Eltern und Freunden beizeiten gesagt. Manchen. Einige verstehen es sogar. Einen Menschen darüber nicht in Unkenntnis zu lassen, wer er eigentlich ist, ein über jedes geschöpfliche Maß hinaus geliebter Mensch, das heißt, ihn zu segnen. - Einem Menschen zu sagen, ihm aufzudecken, einem Menschen zu predigen, daß er bereits von Anfang an mitten im Himmel lebt, das heißt, diesen Menschen zu segnen.

Den Segen wollen wir heute ausführlich überdenken. Und deshalb fangen wir fairerweise von vorn an. Wenn man das Wort Segnen ins Lateinische übersetzt und dann wieder zurück ins Deutsche, ohne wieder »Segnen« zu nehmen, wird klar, was Segnen bedeutet.

Segnen heißt »bene-dicere, Gutes [zu]sagen.« Segnen heißt, einem anderen Menschen - oder auch sich selbst - Gutes sagen. - Wir wollen es bei drei Beispielen belassen, weil Segnen ganz kinderleicht und einfach ist:

Erstes Beispiel: Sebastian, wenn ich Dir demnächst wieder einmal begegne und Dir schon aus der Ferne entgegenrufe: »Guten Morgen, Sebastian!« oder »Guten Tag«, dann ist das ein Segen, dann habe ich Dich gesegnet, im ganz weiten Sinn. - Antwortest Du: »Hallo«, hast Du mich »zurückgesegnet«.

Zweites Beispiel: Du hast zu Hause drei große Brüder, keine Schwester, Sebastian! Schau, wie viele Schwestern hier links und rechts sitzen. - Ich schenke sie Dir! Alle Ordensfrauen auf einmal!

An dieser Stelle darf ich das sagen, denn an dieser Stelle der Kapelle leiht Gott sich meinen Mund. - An dieser Stelle, an der nur Christus den Mund auftun darf, an dieser Stelle, von der aus nur Christus gesagt werden darf - die Predigt, das Wort Gottes, das ist ja Christus selbst. Im Christentum sind Bote und Botschaft ein und derselbe; Im Christentum sind die Botschaft, Gottes unendliche Güte, und der Bote ein und dasselbe. - An dieser Stelle hier also darf ich das sagen, Sebastian, ich schenke sie Dir: Das sind jetzt alles Deine Schwestern! - Schwestern: Hier, Euer neuer Bruder, Sebastian aus Köln.

Das ist der einzige Sinn der Botschaft Jesu, der einzige Sinn, Gottes grenzenlose Zuwendung zu hören, d. h. gesegnet zu werden, daß wir Menschen geschwisterlich leben können: Gottes Wort macht Gemeinschaft möglich, weil es alle Angst - auch die voreinander - als völlig ohnmächtig erkennen läßt:

»Siehe da, Deine Mutter! - Schau, da sind Deine Schwestern« (vgl. Joh 19,26b.27a)!

Da die Schwestern in allen Bänken mitten im Himmel sitzen, bleiben sie ein Segen, schön geordnet zur Rechten Gottes. Da können sie machen, was sie wollen, daran ändern sie nichts. Auch wenn sie sich nicht darüber freuen wollen, im Himmel zu sein, schmeißt Gott sie noch lange nicht hinaus. - Die Aussage, aus der Ordnung nicht herauszukommen, selbst dann nicht, wenn sie wider besseres Wissen abgelehnt wird, ist der Segen.

Wenn der Priester am Ende der heiligen Messe alle Leute in allen Bänken segnet, dann denken leider manche, er würde ganz am Schluß des Gottesdienstes der Eucharistie noch etwas hinzufügen. Sie verstehen den Segen am Schluß des Gottesdienstes so, wie die Mutter am Schluß des Tortenbackens noch Puderzucker drüberstreut.

In Wirklichkeit ist es aber so, daß die ganze Heilige Messe der Segen ist, der am Schluß des Gottesdienstes auch noch einmal in einer Formel zusammengefaßt gesagt wird. - Statt jedesmal die Geschichte vorzulesen, die wir heute hörten, in der der Besitzer des Weinbergs jedem den ganzen Himmel schenkt, hören wir am Ende jeder Eucharistiefeier die ganze Heilige Messe als Segen Gottes zusammengefaßt. - Wir sind am Ende des dritten Beispiels.

Wie geht dieses Beispiel zu Ende, Sebastian?

Weil ich ein Mikrophon habe, darf ich Deine Worte wiederholen, Sebastian: »Statt zu sagen, daß Gott, der Vater, alle Menschen von Anfang an in seine Liebe zum Sohn hineingenommen hat, in den Heiligen Geist, statt das jedesmal so einigermaßen umständlich zu sagen, sagt der, der segnet, nur: »Es segne Euch der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist!«

Als ich zum ersten Mal in meinem Leben segnete, bevor ich zum ersten Mal laut und deutlich und langsam und richtig betont sagte: »Es segne Euch der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist«, da kniete sich zuvor noch ganz schnell der Bischof vor mich hin, der mich gerade zum Priester geweiht hatte. - Wenn Du also bitte noch einen Augenblick wartest, damit ich mich auch hinknien kann, bevor Du uns segnest.

Es hatte hier niemand etwas dagegen, daß ein Niederländer Frau und Töchterchen im Kinderwagen segnet, keiner hatte Einwände gegen den Kokain-Segen; der Gefängnis-Segen mitten zwischen der Mutter und der Tätowierung wurde ebenfalls nicht beanstandet.

Sebastian ist zwölf, und das heißt: kirchenrechtlich längst erwachsen. - Bitte, Sebastian …

»Es segne Euch der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist!« …

Danke, Sebastian. - Wenn heute abend Joachim Kardinal Meisner bei uns Jesuiten in Köln zu Besuch ist, werde ich ihm auch Deinen Segen erzählen, Sebastian.


25. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr A
Jes 55,6-9; Phil 1,20ad-24.27a; Mt 20,1-16a