Das Wunder

 

Johannes 2
1 Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da.
2 Jesus aber und seine Jünger waren auch zur >Hochzeit geladen.
3 Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr.
4 Jesus spricht zu ihr: Was geht's dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.
5 Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut.
6 Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße.
7 Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan.
8 Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm.
9 Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wußte, woher er kam die Diener aber wußten’s, die das Wasser geschöpft hatten, ruft der Speisemeister den Bräutigam
10 und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten.
11 Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.


Wenn man vergessen hat, was ein Wunder ist, braucht man es dennoch nicht mit einem Mirakel zu verwechseln, wenn man behalten hat, was der Hebr dazu sagt. Das berühmte Konzil von Chalkedon, ein Dorf in der heutigen Türkei, hat es im Jahr 451 wiederholt. Das II. Vatikanum wiederholt diese Aussage ebenfalls: »Jesus Christus ist uns in allem gleich, außer der Sünde!« – Die Gottheit wirkt sich – nur so – auf die Menschheit aus, daß Jesus, der Christus, die Sünde läßt.

Eine ausschließlich glaubbare Aussage, die ausschließlich vom Hören kommt. Eine Aussage also von unüberbietbarer Qualität. Wer sie sagt, macht von seiner Unfehlbarkeit Gebrauch. – Es handelt sich bei dem Geschehen des heutigen Textes keineswegs um ein winzerbeunruhigendes Mirakel, sondern um das Wunder, das wir hier gerade auch erleben! Die Gottheit wirkt sich auf die Menschheit nicht anders aus, als daß Jesus die Sünde sein läßt. Im Hebräerbrief heißt es (4,15), das Konzil von Chalkedon wiederholt: »Jesus Christus ist uns in allem gleich, außer der Sünde!« Ausschließlich glaubbar, eine Aussage von unüberbietbarer Qualität. Das ist Lehre der Kirche. Aus Wasser, wie es im Rhein fließt, so etwas zu machen, wie man es als Spätauslese in der Regel teuer zu bezahlen hat, ist keine Sünde, jedenfalls nicht, wenn man dabei im Rahmen bleibt, den Winzern also ihr Geschäft nicht verdirbt. – Meines Wissens ist das Verwandeln des Inhalts eines gewöhnlichen Brunnens in hochzeitsfähiges Getränk bisher genau so vielen Leuten gelungen wie das Verwandeln von Stroh in Gold.

Da solcherart Wandeln uns nicht zur Verfügung steht, und da Jesus uns in allem gleich ist [bis auf die Sünde], konnte es Jesus auch nicht. Sagt die Kirche. – Die Konzilsaussage taugt also dazu, ein falsches Wunderverständnis abzuweisen. Das richtige hat man dadurch freilich noch nicht. – Buchstäbliches Verständnis als Mißverständnis entlarvt zu haben, bedeutet noch nicht, das wörtliche Verständnis zur Hand zu haben. Auch wer das rechte Verständnis des Bildes nicht zur Verfügung hat, wird nicht gleich anfangen zu malen, wenn er hört, der oder die hätte ein Brett vor dem Kopf. Sprachliche Bilder lassen sich nun einmal nicht malen. Theologie ist auch Sprache, theologische Bilder lassen sich eben auch nicht malen: Jesus ist zum Beispiel malbar, daß ich Christus gemalt haben wollte, muß ich in verständlicher Sprache schon dazu sagen!

Und daß die Hochzeit zu Kana am dritten Tag stattfand, ist viel zu wichtig, als daß man es malen könnte. Der Prophet Jona ließ sich spucken am dritten Tag. Das malt ihm niemand nach. Unser Herr ist auferstanden am dritten Tag. Unmalbar.

Daß Gott allein von ganz unten nach ganz oben wandelt, und das meint die »drei«, aus tiefster Not und Verlassenheit in sein eigenes göttliches Leben, das vernimmt man im Hören allein (Röm 10,17), das malt niemand, glauben tun es einige.

Die Hochzeit, die Hohe Zeit zu Kana, das ist nichts anderes als die Kirche. Nichts anderes als das, was gerade hier auch geschieht. Aus bloßen Zuschauern wandeln sich einige unter uns, alle, die wollen, in solche, die Gottes grenzenlose Liebe wieder gern in sich aufnehmen wollen. Aus Trauerklößen und Heulsusen werden im Hören auf Gottes Wort, das er selbst ist, wieder Menschen, die ihre tatsächliche Identität über alles lieben, königliche Spätauslese des uneingeschränkt liebenden Gottes zu sein.

Der Evangelist will seinen Text so verstanden haben! Hören wir ihn selbst: »Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen« (Joh 20,30f).

Jesus tat Wunder, nicht anders als ich es tue: nur durch sein Wort Gottes unbedingter Liebe und nur zum RestlosenSichGefallenlassen dieser unbesiegbaren Güte, zum Glauben also, nur bei Jüngern also tat er sie, konnte er sie tun. Aufgeschrieben ist Jesu Tun, damit wir, die wir den Text heute hören, glauben, und nicht irgendwelche anderen, damit wir in seinem Sinne glauben und nicht nur fürwahrhalten. Denn der Inhalt unseres – existentiell alles entscheidenden – Glaubens ist auch angegeben: Der Jesus ist der Christus, der anschaubare Mensch ist das malbare Gefäß des unmalbaren Gottes – mitten unter uns. Jesus ist der Gottistmituns, der Christus.

Wer ihn glaubt, hat nicht ein Leben, sondern das Leben. Unüberbietbares Leben in seinem Namen. Das meint: in ihm, in seinem Namen. Es ist ein und derselbe Heilige Geist in Jesus wie in uns: Jeder ein anderer (nach kirchlicher Lehre, lateinisch »alter«) Christus!

Das Wunder zu Kana ereignet sich zwischen den Weisungen Jesu, es wird nur diskret festgestellt. Wie es geschieht, bleibt unerwähnt. Wunder geschehen eben nicht, Wunder sind. Der Mensch ist das Wunder: Keiner, der sich zu ängstigen hat, wie wir meinen, sondern der, bei dem Gott ist, und der deshalb über seiner Angst steht, auferstanden, Kirche ist.

Auch die heutige Arbeits, Schul, Betriebs und Gesellschaftswelt will vom Wunder nichts wissen. – Meine Menschwerdung gehört sich ja nun wirklich nicht, meint auch Gott. Aber damit meint er etwas ganz anderes als die Welt: Meine Menschwerdung gehört Euch. »Um Himmelswillen!« irrt die Welt und lehnt das Wunder ab, das sie noch nie gehört hat. »Um des Himmels willen – ist die Welt!« spricht Gott.

Maria bittet Jesus. Aber sie bittet anderer wegen! Ein Fürbittgebet. Solches Bitten hört Gott. – Keine Ahnung vom Wunder hat der Meister, der Speisemeister. Das Wunder kennen nur Diener. Sie füllen weisungsgemäß die Krüge mit Wasser. Auf den Umgang mit Wasser verstehen sich die Menschen. Jesu zweite Weisung: »Schöpft!« hat dagegen gar kein Objekt. Man sollte das nicht überlesen oder überhören, daß nicht geschrieben ist und nicht zu predigen ist: »Schöpft Wasser!« oder »Schöpft vom Wein!«

Diese Leerstelle im Text ist das Wunder. Das Wunder ist nicht hier oder da, das Wunder ist nicht zu schöpfen oder sonst zu transportieren. Die ganze Welt ist unendlich geliebt, das Wunder [factum sensibile, extra cursum naturae, a Deo patratum].

Wasser: Die Schöpfung. Wein: Die Erlösung. Kein Wein ist denkbar ohne Wasser. Keine Erlösung ohne Schöpfung. – Aber das WasserWeinBild hinkt. Die Erlösung wird nicht aus der Schöpfung. – Marias Sohn, der sagt, daß er der Rebstock ist, saugt für uns das Wasser aus dem Boden in uns hinein. In der Glut der Sonne wird das Wasser in Mariens Sohn in den süßen Saft der Trauben gewandelt. Der Traubensaft wird in der Gärung geläutert und gewandelt zum Wein. Kein Wunder, daß so viele mißverstehen … Der Himmel wird nicht. Das Reich Gottes ist. Um uns herum. Für uns, seit es uns gibt.


2. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C
Jes 62,1-5; 1 Kor 12,4-11; Joh 2,1-11