Das Wunder

im Sinn Jesu, der christlichen Kirchen

 

Markus 2
23 Und es begab sich, daß er am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen.
24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?
25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren:
26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren?
27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.
28 So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat. –
Markus 3
1 Und er ging abermals in die Synagoge. Und es war dort ein Mensch, der hatte eine verdorrte Hand.
2 Und sie lauerten darauf, ob er auch am Sabbat ihn heilen würde, damit sie ihn verklagen könnten.
3 Und er sprach zu dem Menschen mit der verdorrten Hand: Tritt hervor!
4 Und er sprach zu ihnen: Soll man am Sabbat Gutes tun oder Böses tun, Leben erhalten oder töten? Sie aber schwiegen still.
5 Und er sah sie ringsum an mit Zorn und war betrübt über ihr verstocktes Herz und sprach zu dem Menschen: Strecke deine Hand aus! Und er streckte sie aus; und seine Hand wurde gesund. 6 Und die Pharisäer gingen hinaus und hielten alsbald Rat über ihn mit den Anhängern des Herodes, wie sie ihn umbrächten.


Nur auf Jesu Wort, auf Christus also, passen die drei Kriterien des Wunders, bei deren Einhaltung unsere Kirche in ihrem Wunderverständnis verstanden ist.

Der Schöpfer schafft (Präsens!) die Schöpfung so in seine Liebe zu sich im Sohn, daß sie von ihrem Anfang an vom Heiligen Geist umfangen ist. Schließlich kann ihr nichts Schlimmes, Böses oder Arges geschehen. Da verdorrt gar nichts endgültig – bis auf die Verdorrung. Nicht einmal ein Ende hat die Welt. Sie kann sich nicht einmal selber etwas antun. Wer sich das Leben nimmt, beansprucht seine Heiligkeit.

1 Gott begegnet in wahrnehmbarem »Geschehen«, in einem »factum sensibile«. Ein den Sinnen zugängliches Geschehen muß es schon sein, wenn die Kirche von einem Wunder sprechen will. Keine Illusion, die sich einer nur einbildet. Auf das Evangelium, das Wort Gottes, trifft dieses erste Kriterium der Kirche für Wunder zu; es begegnet mir in mitmenschlichem Wort im Hören auf andere.

2 Das Wort Gottes ist an der Welt nicht ablesbar. Es liegt außerhalb der Natur, womit gemeint ist, daß das Wort Gottes grenzenloser Güte durch weltliches Geschehen weder zu begründen noch zu widerlegen ist. Es ist in seiner Wahrheit nur dem Glaubenden zugänglich. Das zweite Kriterium der Kirche für Wunder trifft auf das Wort Gottes zu, es ist »extra cursum naturae«, außerhalb des Laufes der Natur.

Gott liebt jeden Menschen unendlich, aber nicht, weil wir so lieb sind. Gott ist uns unüberbietbar gut zugewandt, weil er unbegrenzte Liebe ist und uns als Vater in den Heiligen Geist, den innergöttlichen Dialog mit dem Sohn, hineinnimmt. Das ist gemeint, wenn wir sagen, daß man dem betreffenden Geschehen außerhalb des Glaubens nicht gerecht werden kann: es läßt sich durch reguläre oder irreguläre Weltereignisse weder begründen, noch widerlegen. Es läßt sich glauben; Gottes uneinholbares Verzeihen läßt sich der Christ von Herzen gern gefallen, der Mensch, der im Sinn Jesu glaubt.

3 Gott begegnet im Wort, das er ist, weil seine Liebe nicht an etwas Geschaffenem ihr Maß hat und deshalb auch nicht an etwas Geschaffenem ablesbar ist. Gott ist der Geist des Evangeliums und des Sakraments: nur durch dieses Wort gedeutetes Tun ist Sakrament. Nie begegnet Gott in einer Privatoffenbarung. »Ich habe Euch alles gesagt!« läßt er seinen Sohn sagen (vgl. Joh 15,15).

Wie zumindest Markus Jesus über besserwisserische Schriftgelehrte denken läßt, las ich Ihnen eben vor. Eine Rede, die sich nicht als Christus, d. h. als Selbstoffenbarung Gottes verstehen läßt, gibt es in Jesu Kirchen nicht. Lourdesspezifische Aussagen liefert jeder Computer; Appelle sind Welt; den dreifaltig liebenden Gott aber können wir uns nicht ausdenken oder an der Welt ablesen. Das Wort Gottes ist »aDeo patratum«, direkt von Gott, mit Gott identisch, kein Menschenwerk.

Wer ein Wunder tut, deckt das Wunder auf, daß alle geschaffene Wirklichkeit von Anfang an Wunder ist, nämlich unendlich geliebt. Das Aufdecken des Wunders ist die Mitteilung an alle Menschen, daß ein Krieg zwischen Gott und uns weder andauert, noch beendet ist, sondern nie stattfand. Das Aufdecken des Wunders ist das Aufdecken der tatsächlichen Identität des Menschen: »Wenn einer in Christus ist, ist er ein neues Geschöpf« (2 Kor 5,17).

Das Aufdecken des Wunders gleicht der Frequenz, die ein noch nie gespieltes Instrument spielerisch in Bewegung, ins Spiel vor Gott, in nicht anstrengende Schwingung versetzt, ohne es anzufassen, ohne es überhaupt in seiner Freiheit zu beeinträchtigen. Das Aufdecken des Wunders in den Worten (des jungen) Karl Marx:                                   

»Man muß diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt.« (Hier zitiert nach H. Popitz, Der entfremdete Mensch, 1953, 40).

Der Glaube ist die Alternative zu jeder Weise von Weltvergötterung und von Verzweiflung an der Welt, zu Aber- und Unglaube. Das Aufdecken des Wunders, die Kenntnisgabe der Gemeinschaft mit Gott, wirkt sich in der Weise aus, daß man nicht mehr aus der Angst um sich lebt, sondern anderen selbst»los« dient.

Die Definition des Wunders – factum sensibile, extra cursum naturae, a Deo patratum – wird nur erfüllt von unseres unendlich liebenden Gottes Gegenwart in dem Geschehen seines Wortes, in der Gemeinschaft der Glaubenden und in jedem selbst»losen« Dienst: »Jeder, der an mich glaubt, wird die Werke, die ich tue, auch selbst tun.« (Joh 14,12). Womit ein für allemal Dienst definiert ist, von Gott definiert. – Wir hörten Gottes Wort, und Jesus wurde bestätigt: »Jeder, der an mich glaubt, wird die Werke, die ich tue, auch selbst tun, und er wird noch größere als diese tun.«

Im Sinn des christlichen Glaubens gibt es keine anderen Wunder als die, die sich auf das Geschehen von Wort Gottes, der von ihm begründeten Glaubensgemeinschaft und der darin wurzelnden selbst»losen« Liebe zurückführen lassen (nach P. Knauer SJ). Diese Wunder kommen in unserer Erfahrung vor und machen den Glauben aus.

Ein Gott, der in die Welt, die restlos von ihm abhängig ist, eingreift, ist unverständlich und im Christentum unbekannt. Restlose Abhängigkeit steigert niemand. Innerhalb der Zuhörerschaft Jesu, in der sich überhaupt nichts anderes abspielt als die Freude aus der Predigt auf die nächste, darf Gott »seine Sonne aufgehen lassen über Bösen und Guten, und regnen über Gerechte und Ungerechte« (vgl. Mt 5,45).

Gott, in dessen absoluter Abhängigkeit wir leben, läßt uns hören, daß er unsere Freiheit will, uns seine Freiheit schenkt.


9. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B
Dtn 5,12-15; 2 Kor 4,6-11; Mk 2,23 – 3,6